Energiewende in Städten

Nachhaltige
Fernwärme für Hannover

Im Vergleich zu anderen Energieträgern kann sich Fernwärme sehen lassen: Sie leistet nicht nur einen hohen Beitrag zur Energieeinsparung, sondern vermeidet auch eine Schadstoffbelastung im direkten Lebensumfeld.

enercity geht mithilfe der Müllverbrennungsanlage ab 2020 neue Wege bei der Wärmeversorgung: Die entstehende Abwärme wird künftig in das Fernwärmenetz eingespeist.

Bis zum Jahr 2035 will enercity die Hälfte der Wärmelieferung in Hannover aus erneuerbarer Energie gewinnen und gleichzeitig das Fernwärmenetz im Ostteil der Landeshauptstadt stärken. Die Nutzung der Abwärme aus der thermischen Abfallverwertungsanlage im Stadtteil Lahe wird dazu einen zentralen Beitrag leisten.

„Dieses neue Fernwärmeprojekt ist der Startschuss für eine umfassende Wärmewende in Hannover.“

Dr. Susanna Zapreva, enercity-Vorstandsvorsitzende

„Mit diesem Projekt wird die Fernwärme in Hannover deutlich umweltfreundlicher“, sagt enercity-Vorstandsvorsitzende Dr. Susanna Zapreva. „Dieses neue Fernwärmeprojekt ist der Startschuss für eine umfassende Wärmewende in Hannover.“ Tag für Tag landen in Lahe Tonnen von Hausmüll sowie Gewerbeabfälle aus dem gesamten Stadtgebiet und den Landkreisen Hildesheim und Celle, die in einem gigantischen Bunker gesammelt werden, wo sich der Müll meterhoch stapelt: Gartenabfälle, Papier, Kunststoff, Holz und Essensreste. Ein Kranführer schichtet den Unrat laufend um und füttert unentwegt die angrenzenden Schächte mit Nachschub. Von dort gelangt der Müll in die Brennkammern, wo er im 850 Grad heißen Ofen verbrennt.

Durch die Anbindung der Müllverbrennungsanlagen des Betreibers EEW Energy from Waste Hannover GmbH an das Fernwärmenetz von enercity kann die bei der Verfeuerung von Müll anfallende Wärme künftig durch einen Kraft-Wärme-Kopplungsprozess (KWK) nachhaltig verwendet werden.

Da die Hälfte des Haushalts- und Gewerbeabfalls biogener Natur ist, gilt die erzeugte Energie zu 50 Prozent als regenerativ und nahezu komplett als CO2-neutral. Bisher treibt die bei der Verfeuerung entstehende Wärme eine Dampfturbine an, die jährlich rund 200.000 Megawattstunden Strom erzeugt. Doch die Primärenergie wird nach ihrem Austritt aus der Turbine bislang ungenutzt direkt an die Umgebung abgegeben. Durch die Anbindung der Anlagen des Betreibers EEW Energy from Waste Hannover GmbH an das Fernwärmenetz von enercity kann die anfallende Wärme künftig durch einen Kraft-Wärme-Kopplungsprozess (KWK) nachhaltig verwendet werden. Hierfür unterzeichneten beide Unternehmen einen Wärmeliefervertrag über eine Laufzeit von 20 Jahren mit der Option auf eine zeitlich befristete Verlängerung. In das Projekt investieren enercity und EEW mehrere Millionen Euro. Dafür ist eine Netzanschlussleitung an das Fernwärmenetz von rund fünf Kilometern erforderlich.

Fernwärme als Treiber der Energiewende

Zu den Kunden des Fernwärmenetzes von enercity in Hannover zählen Haushalte, meist Wohnungsgesellschaften, sowie gewerbliche Kunden, Schulen, Krankenhäuser und die HDI-Arena mit ihrer Rasenheizung im Stadion. Ein Kohle- und ein Gaskraftwerk speisen die Wärme, die dort durch Kraft-Wärme-Kopplung gewonnen wird, aktuell in das Fernwärmenetz ein, das 1962 mit dem Heizkraftwerk Linden seinen Anfang nahm. enercity will die konventionellen Energieträger nun sukzessive durch Biomassebrennstoffe, Wärmepumpen, Solarthermie und weitere regenerative Wärmeerzeugungsanlagen ablösen.

Michael Hartung gehört der Geschäftsführung der enercity Contracting an. In dieser Position verantwortet er unter anderem das Infrastrukturprojekt.

„Die Fernwärme stellt einen wesentlichen Treiber der Energiewende in Ballungsgebieten, Städten und Gemeinden dar.“

Michael Hartung, Mitglied der Geschäftsführung der enercity Contracting GmbH

Christoph Blume (55) war von Anfang an in die Trassenplanung involviert.

Die Anbindung der Müllverbrennungsanlage in Lahe ist ein weiterer Schritt in Richtung nachhaltig gewonnener Fernwärme.

„Die Fernwärme stellt einen wesentlichen Treiber der Energiewende in Ballungsgebieten, Städten und Gemeinden dar“, erläutert Michael Hartung. Der Elektroingenieur gehört der Geschäftsführung von enercity Contracting an. In dieser Position verantwortet er das Infrastrukturprojekt und ist Ansprechpartner für den Vorstand von enercity.

Komplexes Unterfangen

Als verantwortlicher Planer des Leitungsprojekts wirkt Christoph Blume. Der studierte Maschinenbauingenieur ist Experte für Energietechnik und seit 2002 bei enercity. Vor dem Großprojekt hat er Versorgungsleitungen, Hausanschlüsse und Übergabestationen für das Fernwärmenetz geplant und umgesetzt. Von Anfang an war Blume in die Trassenplanung involviert, hat Gutachter und externe Dienstleister koordiniert sowie erfolgreich den Genehmigungsprozess durch unzählige Ämter geführt. „Naturschutzbehörde, Untere Wasser- und Abfallbehörde, Tiefbauamt, Grünflächenamt, Autobahnmeisterei, Straßenverkehrsbehörde – die Aufzählung ist längst nicht vollständig“, verrät er augenzwinkernd. Von der Erstbegehung im Oktober 2016 bis zum Startschuss für das Bauvorhaben vergingen nicht einmal zwei Jahre. Mit vielen der Ansprechpartner steht Blume weiterhin in enger Abstimmung, zumal die Planungen immer wieder angepasst werden.

Gebäude, Verkehrsinfrastruktur, Privatgrundstücke, Natur: Auf fünf Kilometern Leitungsstrecke durch das Stadtgebiet kommt einem viel in die Quere. Und auch unter Tage geht es mit der Kanalisation und den Leitungen für Telefon, Kabelfernsehen, Internet und Energieversorgung nicht immer übersichtlich zu. Hartung und sein Team haben drei Szenarien durchgespielt. Das erste scheiterte an Naturschutzflächen, beim zweiten hätte man sich den Weg unterhalb eines Autobahnkreuzes bahnen müssen. „Viel zu aufwendig“, erklärt Hartung und winkt ab. „Schlussendlich haben wir die wirtschaftlich machbarste Variante gewählt, bei der wir möglichst wenige Hindernisse passieren und uns die wenigsten Risiken erwarten.“ Diese Strecke führt an Wohnhäusern und Gewerbeimmobilien entlang, an vielen Grünflächen und Straßen mit Zufahrten vorbei.

Die neue Fernwärmetrasse von enercity hat eine Gesamtlänge von rund 5.200 Metern. Davon verlaufen gut 4.300 Meter unter der Erde. Nur etwa 900 Meter der Fernwärmetrasse werden als Freileitungen oberirdisch verlegt.

15 Monate Akkordarbeit

Für jeden der circa 300 Meter langen Abschnitte gibt es von der zuständigen Baubehörde ein konkretes Zeitfenster, in der die Arbeiten abgeschlossen werden müssen. Derzeit arbeiten sich die Bautrupps von der A2 in Richtung Müllverbrennungsanlage sowie von der Straße „In den Sieben Stücken“ in Richtung Autobahn 2 voran. 30 Bauarbeiter in fünf Kolonnen sind aktuell an den unterschiedlichen Bauabschnitten im Einsatz. Von Montag bis Freitag wird gebuddelt, verlegt, geschweißt und wieder zugeschüttet. Der Graben für die Vor- und Rücklaufleitung hat eine Breite von zweieinhalb Metern. Die Rohre haben eine Länge von 12 bis 16 Metern und werden an Ort und Stelle zusammengeschweißt. Prüfer testen baubegleitend mit Ultraschall- und Röntgenverfahren die Nähte.

„Wir profitieren von einer schlanken Projektorganisation. Jeder kennt seine Rolle.“

Michael Hartung, Mitglied der Geschäftsführung der enercity Contracting GmbH

Über 700-mal wird das Prozedere wiederholt, bis das letzte Rohr verschweißt ist. Die Bagger füllen die Gräben wieder auf. „Insgesamt werden wir rund 25.000 Kubikmeter Erdreich bewegen“, erzählt Blume. „Ein Teil davon wird am Ende entsorgt.“ Um den Verkehr so wenig wie möglich zu beeinflussen, wurde sogar in Abstimmung mit der Stadtverwaltung ein Verkehrskonzept entwickelt. „Während der eigentlichen Bauzeit von 15 Monaten können wir dabei komplett auf Vollsperrungen verzichten“, berichtet Blume. Mit Helm, Warnweste und Sicherheitsschuhen gewappnet schaut Michael Hartung ebenfalls manchmal nach dem Stand der Arbeiten. Je nach Projektphase stehen ihm bis zu zehn enercity-Mitarbeitende mit Rat und Tat zur Seite. „Wir profitieren von einer schlanken Projektorganisation. Jeder kennt seine Rolle“, so Hartung.

Herausforderung Autobahn

Da die Müllverbrennungsanlage Lahe unweit des Autobahnkreuzes Hannover-Buchholz liegt, sind Bauarbeiten an zwei Autobahnen jedoch unvermeidlich. Während im Fall der A2 die Rohre unter einer Brücke im gewöhnlichen Tiefbauverfahren verlegt werden konnten, müssen für die Trasse alle Fahrbahnen der A37 unterquert werden. Per Rohrvortriebsverfahren sollen Spezialisten auf einer Länge von 90 Metern zwei Schutzrohre unter der Autobahn und dem angrenzenden Schutzwall verlegen, in die später die Kunststoffmantelrohre eingezogen werden. „Das wird eine Premiere für uns. Wir haben noch nie eine Fernwärmeleitung mit diesem Verfahren unter einer Bundesautobahn gebaut“, sagt Hartung sichtlich stolz.

Ende Oktober soll die Müllverbrennungsanlage endgültig mit der Fernwärmeleitung gekoppelt werden. Dann stehen erst einmal umfangreiche Tests bevor. „Zunächst wird das komplette Rohrsystem vorgereinigt und durchgespült. Damit sollen Ablagerungen beseitigt werden. Anschließend erfolgt eine Prüfung der Leitungen, ob sie auch dicht sind“, erklärt Christoph Blume. Mit dem Start Anfang 2020 wächst die für Hannover hinzugewonnene Wärmemenge auf bis zu 300 Gigawattstunden pro Jahr an. Rund ein Viertel des jährlichen Fernwärmeabsatzes von insgesamt 1.200 Gigawattstunden trägt damit das Etikett „klimaneutral“. Zugleich werden die Kohlekraftwerke gedrosselt, womit sich 45.000 Tonnen CO2 einsparen lassen. Für das Projektteam um Christoph Blume und Michael Hartung ist das auch als Einwohner Hannovers ein echter Zugewinn.

Ganze zehn Kilometer maß 1962 der erste Fernwärme-strang in Hannover. Seitdem wurde das Netz konsequent ausgebaut und ist inzwischen rund 330 Kilometer lang. Das entspricht in etwa der Entfernung von Hannover nach Bonn. 99 Prozent der Leitungen verlaufen unterirdisch und liegen in Kellern. Nur ein Prozent befindet sich über der Erde. Mit der Erweiterung wächst das Netz um genau 5,2 Kilometer.

Credit: Getty Images, enercity AG (4), Ina Richter