Nachhaltige Energie

Wind ist mehr

Zukunftsweisend: 2018 hatte enercity 174 Windkraftanlagen im Betrieb. 2030 sollen es 260 sein.

Die Braunkohleverstromung mit hohen Umweltbelastungen ist noch immer das wirtschaftliche Rückgrat von Brandenburgs Süden. Genau hier treibt enercity gemeinsam mit Akteuren und Bürgern die Energiewende vor Ort voran.

Dieser Arbeitsplatz schwankt. Er pfeift. Und für Menschen mit Höhenangst ist er nichts. Hier, in über 100 Meter Höhe, begutachtet Henry Löwenherz – ausgerüstet mit Klettergeschirr und Helm – die Rotorblätter eines Windrads auf Schäden. Weit unten wogen Baumwipfel. Löwenherz hat einen der höchsten Arbeitsplätze im Land. Gemeinsam mit Marko Bartsch ist er für die Wartung und Reparaturen am Windpark Klettwitz verantwortlich, der seit 2017 zu enercity gehört. 13 Anlagen stehen an dem Standort verteilt. Die Nabenhöhe bei den Windkraftanlagen der neuesten Generation beträgt 140 Meter. Hoch oben in der sogenannten Gondel – so heißt der Maschinenraum auf der Spitze des Windrads, an dem auch die Rotorblätter befestigt sind und in dem sich die Technik des Windrads befindet – arbeitet Löwenherz. In dieser Höhe kann es Schwankungen bis zu einem Meter geben. „Da muss man schon ein bisschen seefest sein“, meint Löwenherz lachend. Sein Blick schweift in die Ferne, bis zum Horizont, auf Windräder, Wälder, Dörfer und dann auf tiefe Gruben, schwarze und graue Hügel, die sich kilometerweit hinziehen.

Windkraft ist eine der bedeutendsten Energiequellen zur Realisierung des in Deutschland bis 2030 geplanten, vollständigen Kohleausstiegs.

Ende einer 200-jährigen Ära

Der Windpark liegt mitten im Braunkohlerevier der Lausitz. Hier, rund 130 Kilometer südlich von Berlin, zeigen sich die Auswirkungen des Braunkohleabbaus auf die Natur. Aus bis zu 100 Metern Tiefe schaufelten die Bagger die Erde heraus, räumten Schicht für Schicht ab, türmten sie zu riesigen Halden auf, bis sie zur Kohle fanden. Das hat tiefe Spuren hinterlassen. Die Kraterlandschaften sind selbst aus dem All zu sehen. In Brandenburg und Sachsen gibt es derzeit noch vier aktive Tagebaue und zwei Kraftwerke. Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2030 werden auch die letzten Anlagen stillgelegt, und damit ist jahrhunderte alte Geschichte des Braunkohleabbaus besiegelt.

Die Gemeinde Schipkau liegt inmitten der Region. 40 Jahre lang wurde auch hier Braunkohle abgebaut. Schätzungsweise rund 6.300 Hektar des Gemeindegebiets fielen den stählernen Ungetümen zum Opfer. Acht Dörfer verschwanden nach und nach von der Landkarte, auch ein Teil des Ortes Klettwitz selbst. Tausende Einwohner mussten umsiedeln. Bis die riesigen Abraumbagger in weitere Teile des Ortes vorrücken würden, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Doch es kam anders.

„Wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht gekommen, gäbe es meine Heimat nicht mehr.“

Henry Löwenherz

Ausgerüstet mit Klettergeschirr und Helm begutachten Bartsch (l.) und Löwenherz die Rotorblätter eines Windrads auf Schäden.

Eine Region im Wandel

„Wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht gekommen, gäbe es meine Heimat nicht mehr“, so Henry Löwenherz. Löwenherz ist gebürtiger Klettwitzer. Der Ingenieur war einer von denen, die mit ihrer Arbeit dazu beitrugen, dass in den ostdeutschen Städten die Lichter nicht ausgingen. In der Forschungsabteilung des örtlichen Braunkohlekombinats hat er an der computergesteuerten Wiederaufarbeitung der Formzeuge zum Pressen der Kohlebriketts mitgewirkt. 1991 war plötzlich Schluss. Die rentablen Tagebaue und die zugehörigen Kraftwerke wurden privatisiert, Betriebe in der Region über Nacht stillgelegt.

Nachdem die Kohle weg war, blutete die Region fast aus. Junge Menschen zogen weg. Die Arbeitslosenquote wurde zweistellig. Ausgerechnet auf dieser einstigen Stätte fossilen Raubbaus ist in den vergangenen 20 Jahren eine Musterregion für Windkraft entstanden und damit ein Vorzeigeprojekt für den schleichenden Strukturwandel im Osten der Bundesrepublik: Auf dem Gelände des ehemaligen Tagebaus Klettwitz wurden erstmals im Jahr 1999 Windenergieanlagen errichtet. Über mehrere Jahre entstanden 50 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von rund 100 Megawatt. Lange Zeit galt der Park sogar als der erste und leistungsstärkste Onshore-Windpark in Europa. Henry Löwenherz durfte deshalb schon Delegationen aus der ganzen Welt durch den Park führen.

„Heute nehmen uns die Fernwartung und die Sensorik viel Arbeit ab. Die Anlagen haben sich technisch enorm weiterentwickelt.“

Marko Bartsch

Die Kümmerer

Schließlich kennt ihn auch keiner besser als Löwenherz. Seit zehn Jahren steht Marko Bartsch an seiner Seite. Auch er ist Quereinsteiger. „Früher waren wir rund um die Uhr im Einsatz, sind wegen jedem Problem bei Wind und Wetter rausgefahren und haben Reparaturen selbst übernommen. Heute nehmen uns die Fernwartung und die Sensorik viel Arbeit ab. Die Anlagen haben sich technisch enorm weiterentwickelt“, erzählt Marko Bartsch. Gibt es ein Problem an einem der Windräder, bekommen sie eine E-Mail inklusive Fehlerprotokoll auf ihre Smartphones geschickt. In der Regel entsendet dann die Leitstelle des dänischen Anlagenherstellers Vestas ein Serviceteam.

Die Nabenhöhe von Windkraftanlagen der neuesten Generation beträgt 140 Meter.

Bartsch und Löwenherz übernehmen zunehmend koordinierende Aufgaben, inspizieren einmal im Monat jedes Windrad, kümmern sich um das Berichtswesen – und sind zudem erste Ansprechpartner für die Anwohner. „Egal, ob ein Windrad verdächtig quietscht oder die Landstraße aufgrund aktueller Bauarbeiten stark verschmutzt ist – wir sind erreichbar und reagieren“, sagt Bartsch. Beide freuen sich zurzeit vor allem auf baldigen „Nachwuchs“: 2020 werden zehn weitere Vestas-Anlagen mit jeweils 3,3 Megawatt Nennleistung den bestehenden Park ergänzen.

Einmal im Monat inspizieren Mario Bartsch (Foto) und sein Kollege Henry Löwenherz jedes Windrad. Die eigentliche Wartung der Anlagen erfolgt inzwischen in der Regel aber durch ein Serviceteam des dänischen Anlagenherstellers Vestas.

„Das Ziel von enercity ist, bis zum Jahr 2035 den Anteil des erneuerbaren Stroms auf 50 Prozent zu erhöhen.“

Ivo Grünhagen, Vorsitzender der Geschäftsführung der enercity Erneuerbare GmbH

Ivo Grünhagen, Vorsitzender der Geschäftsführung der enercity Erneuerbare GmbH, ist davon überzeugt, dass enercity bis zum Jahr 2035 den Anteil des erneuerbaren Stroms auf 50 Prozent erhöhen kann.

enercity investiert in die Region

„Das Ziel von enercity ist, bis zum Jahr 2035 den Anteil des erneuerbaren Stroms auf 50 Prozent zu erhöhen. Die enercity Erneuerbare trägt maßgeblich dazu bei, dieses Ziel zu erreichen“, kommentiert Ivo Grünhagen, Vorsitzender der Geschäftsführung der enercity Erneuerbare GmbH. „Mit unserem Schuldschein haben wir eine solide Basis für unseren ambitionierten weiteren Ausbau von Windparks gelegt.“

Der Erweiterung in Klettwitz ging eine lange Planung voran. Das Genehmigungsverfahren hat sechs Jahre gedauert. Zahlreiche Gutachten wurden in dieser Zeit erstellt, unter anderem für den Vogel- und Amphibienschutz. So wurden beispielsweise Krötentunnel angelegt und Schutzmaßnahmen für ein Salamandergebiet umgesetzt. Auch eine Vogelzählung wurde durchgeführt und über zwei Jahre der Fledermausbestand überwacht. In Kooperation mit dem Naturschutzbund hielten Ornithologen sogar ein Jahr lang Ausschau nach einem Seeadlerhorst. Darüber hinaus wurden Ausgleichsflächen geschaffen, Parkplätze und leer stehende Gebäude rückgebaut, und es wurde renaturiert.

Herausforderndes Erbe

Über die Baufortschritte informiert die Kommune regelmäßig in ihrem Amtsblatt sowie im Internet. Ein Windrad kann in der Niederlausitz aber aufgrund der Bodenbeschaffenheit den Tagebau nicht einfach aufgestellt werden: Wegen Rutschungsgefahr sind in der Region immer noch gut 35.000 Hektar Land gesperrt. Die Kippen aus den Bergbauzeiten bestehen überwiegend aus lockeren Sanden. Wenn sie sich mit Grundwasser sättigen, haben die Sandkörner kaum noch Reibung untereinander, und das Material kann sich beim kleinsten Anstoß quasi verflüssigen. Dieses sogenannte Setzungsfließen läuft mit hoher Geschwindigkeit ab und hat in einem besonders spektakulären Fall mehrere Hektar erfasst und Millionen Kubikmeter Erdreich abrutschen lassen. Auch freigegebene Flächen sind daher immer noch technische Herausforderungen.

Für jedes neue Windrad investiert die enercity Erneuerbare GmbH daher zusätzlich rund 400.000 Euro, um den Boden tragfähig zu machen. Dafür wird ein Gestänge mit einem Kran bis zu 90 Meter tief in den Boden abgesenkt und von unten nach oben durchgerüttelt. Dadurch sackt der Sand zusammen und verdichtet sich mit Kies. Erst danach können die eigentlichen Fundamentarbeiten auf rund 600 Quadratmeter Fläche beginnen.

Partner auf Augenhöhe

Grünhagen begleitet den Prozess und sieht die Aktivitäten von enercity als Gemeinschaftsprojekt: „Nur Hand in Hand mit den Bürgern und vor Ort können wir zum Gelingen der Energiewende beitragen. Die Menschen müssen zu Beteiligten werden und am Erfolg unserer Windkraftprojekte teilhaben. Nur das schafft Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung. Haben wir die nicht, ist die Energiewende vor Ort zum Scheitern verurteilt.“

Grünhagen sieht die Aktivitäten von enercity als Gemeinschaftsprojekt: „Die Energiewende kann nur Hand in Hand mit den Bürgern vor Ort gelingen.“

„Mit der enercity Erneuerbare GmbH haben wir einen verlässlichen Partner, der an einer nachhaltigen Zusammenarbeit interessiert ist.“

Klaus Prietzel, Bürgermeister von Klettwitz

Ralf Heinen, Geschäftsführer der enercity Erneuerbare GmbH und verantwortlich für den Bereich Projektierung, ist regelmäßig in Brandenburg. Er kennt die Menschen, ihre Mentalität.

Ralf Heinen, Geschäftsführer der enercity Erneuerbare GmbH und verantwortlich für den Bereich Projektierung, ist regelmäßig in Brandenburg. Er kennt die Menschen, ihre Mentalität. Mit Henry Löwenherz und Klaus Prietzel verbindet ihn eine jahrzehntelange berufliche Beziehung.

Prietzel manövriert seit 1993 als Bürgermeister die Geschicke seiner Gemeinde und ihrer 6.800 Einwohner. Zu oft seien ihm Betreiber begegnet, die einem das „Blaue vom Himmel“ versprachen und nur schnell Reibach machen wollten. „Mit der enercity Erneuerbare GmbH haben wir dagegen einen verlässlichen Partner, der an einer nachhaltigen Zusammenarbeit interessiert ist und mit dem wir auf Augenhöhe stehen.“

Seine Gemeinde profitiert dadurch nicht nur von Arbeitsplätzen, sprudelnden Gewerbesteuern und Pachteinnahmen, sondern von einem besonderen Bürgerbeteiligungsmodell: Alle zwei Jahre schüttet die Windparkgesellschaft zusätzlich rund 500.000 Euro direkt an die Einwohnerschaft aus. Zwei Millionen Euro wurden bisher ausgezahlt. Das ist in Brandenburg einmalig.

Einmalig ist auch immer wieder die Aussicht für Henry Löwenherz hoch oben auf der Gondel. Im Mai wird Löwenherz, der danach in Rente geht, ein letztes Mal ein Windrad erklimmen und den Blick zum Horizont schweifen lassen. Und er wird sich erneut bestätigt fühlen, warum es damals das Richtige war, zu bleiben und mit anzupacken.

Klaus Prietzel, Bürgermeister von Klettwitz, und Ralf Heinen verbindet eine jahrzehntelange berufliche Beziehung.

Henry Löwenherz genießt hoch oben auf der Gondel die einmalige Aussicht. Im Mai wird er ein letztes Mal ein Windrad erklimmen und den Blick zum Horizont schweifen lassen.

Windkraft kurz erklärt

Starke Luftbewegungen entstehen durch die ungleiche Sonneneinstrahlung auf der Erde, die zu Temperaturdifferenzen führt. Daraus entwickeln sich Luftdruckunterschiede, die zum Ausgleich drängen – Wind. Die Rotoren der Windenergieanlagen setzen die Kraft des Windes in ein Drehmoment um, aus dem eine Turbine Strom macht. Im Prinzip genau wie beim Fahrraddynamo.

Das ist an sich nichts Neues, Windmühlen gibt es seit dem Altertum. Damals wurde die Kraft des Windes allerdings in mechanische Energie umgewandelt, die anfangs vor allem dazu diente, Getreide zu mahlen, später aber auch in vielen anderen Bereichen zum Einsatz kam. In Deutschland galten die dekorativen Energieerzeuger nach dem Krieg jedoch als überholt, und so belohnte der Staat ab den 1960er-Jahren jeden Windmüller kräftig, wenn er seine Mühle stilllegte.

Die Rotoren der Windenergieanlagen setzen die Kraft des Windes in ein Drehmoment um, aus dem eine Turbine Strom macht.

Credit: Peter Eichler (4), Getty Images (3), Ina Richter, Erik Isakson Photographics