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Auf ein Wort

„Die Welt verändert sich – und wir haben zwei Möglichkeiten“

Klaus Russell-Wells ist vielen besser bekannt als YouTuber Joul, der Wissenschaftsvideos zu den Themen Energiewende, Klimaschutz und Umweltschutz produziert – und damit Millionen Menschen erreicht.

Sie haben Energie- Gebäude- und Umwelttechnik studiert, sind also Wissenschaftler, der jetzt populärwissenschaftlich erklärt, was Klimawandel und Energiewende bedeuten. Wie kam es dazu?

Es gibt viele Veröffentlichungen, viel Erklärmaterial zu wissenschaftlichen Themen, gerade zu Energie, Umwelt und Klima. Es mangelt also nicht an Informationen. Aber das Themengebiet Energiewende, Klimawandel, Klimaschutz ist so breit und gleichzeitig so unglaublich wichtig und komplex, dass es nicht nur Fachleute, sondern alle Menschen angeht. Es gab damals Anfang der 2000er-Jahre aber kaum eine Möglichkeit, richtig in diese Themen reinzukommen, wenn man nicht eine gewisse Fachsprache beherrschte. Das war zumindest mein Eindruck 2009, dass es dank YouTube spannende, einfache Möglichkeiten gibt, Themen aufzubereiten, die sich eignen, viele Menschen anzusprechen und abzuholen. Ich dachte, die Idee ist so naheliegend, das wird schon jemand machen. Zwei Wochen, zwei Monate, zwei Jahre später gab es ein solches Format aber immer noch nicht. Da habe ich mir gesagt: ‚Es hilft nichts, ich mache das jetzt selbst’.

Und dann merkt man, wie schwer so ein „Sendung mit der Maus“-Format ist, wenn man es ganz einfach erklären will, oder?

Am ersten Video, das ich gedreht habe, saß ich ein halbes Jahr. Nicht, weil es wirklich ein halbes Jahr gedauert hätte – am Ende waren es ein, zwei Wochen –, sondern weil ich eine konkrete Vorstellung im Kopf hatte, wie ich wollte, dass das Video wirkt. Ich habe gedreht und produziert und geschnitten – und festgestellt, dass das nicht meiner Vorstellung entspricht. Ich habe es wieder und wieder und wieder angepasst. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir gesagt habe: ‚Das wird nicht so werden, wie ich mir das vorstelle, aber ich kann auch nicht für immer an diesem Thema herumarbeiten und nie etwas veröffentlichen‘. Also habe ich es veröffentlicht und mir gesagt, dass das nächste eben besser wird. Ich musste mich erst an diesen Gedanken gewöhnen, dass ich nie etwas produzieren werde, was meiner Vorstellung entspricht. Ich komme im Laufe der Zeit näher heran an meine Wunschvorstellung, aber es ist wie eine Asymptote: Man wird es nie erreichen.

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Wenn er Kamera und Licht richtig aufgebaut hat, macht er sich daran, das Thema zu erklären. In diesem Fall geht es um Heizungsthermostate.

Ihr Youtubekanal heißt Joul und ist nach Joule, der Energiemaßeinheit, benannt?

Ja, aber mein Kanal sollte nicht genauso heißen. Ich möchte in der Breite alle möglichen Menschen ansprechen, aber es gibt viele Menschen, die sich durch einen zu technischen Auftritt abschrecken lassen würden.

Wie gehen Sie Themen an?

Ich versuche mit einer gewissen positiven Naivität heranzugehen, einer konstruktiven Naivität. Es ist schön, diesen Weg nachzuzeichnen – vom Nichtverstehen zum Verstehen. Gute Wissenschaftskommunikation wird dem Thema gerecht, vereinfacht es ordentlich, ohne zu stark zu verfälschen; denn jede Vereinfachung hat auch eine Verfälschung zur Folge. Und gute Wissenschaftskommunikation hat keinen erhobenen Zeigefinger, sondern ist im Idealfall unterhaltsam, ermöglicht einen lockeren Zugang und übt einen Reiz aus, der über das Erklärende hinausgeht. Ich habe zum Beispiel ein Video über Heizungsthermostate gedreht und bin so drangegangen, dass ich nicht verstehe, wie die funktionieren, also habe ich mir die mal genauer angesehen. In den Kommentaren hieß es natürlich: ‚Sag mal, wie blöd bist du denn, dass du Heizungsthermostate nicht verstehst?‘ Ich wollte aber nicht antworten, dass ich Ingenieur bin, also durchaus verstehe, wie die funktionieren. Denn das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, diesen Weg aufzubauen, damit er für andere Menschen nachvollziehbar ist.

Was könnten etwa Medien besser machen?

Die Schwäche des medialen Umgangs mit dem Thema ist, dass Klima generell für sich als ein Thema gesehen wird: Es gibt das Klimathema, und dann gibt es andere Themen. Aber Klima und Energiewende – also Klima noch mehr als Energiewende – sich eigentlich durch alle Themen durchziehen auf eine gewisse Art. Und das heißt, dass es vielleicht sinnig wäre, diesen Klimaaspekt in allen möglichen Themen mit zu thematisieren. In der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung wird viel zu wenig eingeordnet, was bestimmte Entwicklungen oder auch tagesaktuelles Geschehen am Ende für einen Einfluss auf das Klima hat.

Gibt es Umweltthemen, die in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen werden?

Ja. Suffizienz steht da ganz oben. Wir reden zum Beispiel die ganze Zeit darüber, unsere Autos gegen Elektroautos umzutauschen. Es wird aber viel zu wenig darüber geredet, wie viele wir denn eigentlich brauchen. Ich weiß, das ist immer ein blödes Thema, weil es mit Verzicht in Verbindung gebracht wird. Aber in erster Linie brauchen wir weniger Autos. Wenn wir über Wasserstoff reden – das ist ein Thema, über das ich mich massiv aufregen kann, wenn es ungeschickt kommuniziert wird. Es gibt solche Erwartungshaltungen, dass wir in Zukunft alles Mögliche mit Wasserstoff machen. Wasserstoff wird ein wichtiger Energieträger, ohne Frage, in bestimmten Bereichen eine Schlüsseltechnologie. Aber am Ende ist es ein Suffizienzthema.

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Russell-Wells erklärt, wofür die Zahlen auf dem Regler des Thermostats stehen – nämlich für verschiedene Temperaturbereiche.

Viele Menschen sagen: ‚Dann machen wir das noch mit Wasserstoff und das noch und das auch. Am Ende heizen wir sogar noch damit.’ Man sollte sich dann aber mal fragen, woher der Wasserstoff kommt und woher die Energie kommt und wie wir genau diese Energie auf anderem Wege viel effizienter, viel sinnvoller einsetzen könnten. Energieeffizienz und generell Einsparungen und Sparsamkeit sind Themen, die schwierig zu kommunizieren sind, weil sie mit Verzicht in Verbindung gebracht werden. Aber darum geht es: Was brauche ich wirklich?

Was brauchen wir denn wirklich? Das ist ja eine Frage, die Städter anders beantworten als der Mensch, der auf dem Land leben, und Pendler anders beantworten als remote arbeitende Menschen.

Ich weiß nicht, ob man das am Ende wirklich so anders beantworten würde. Wir brauchen Mobilität – das ist es ja, worauf Sie anspielen. Es ist aber nicht unbedingt das eigene Auto. Das ist ähnlich wie bei einer Bohrmaschine. Man will ja nicht die Bohrmaschine haben, sondern man will ein Bild aufhängen. Das heißt, wir brauchen Möglichkeiten, um von A nach B zu kommen, und zwar solche, die mindestens so attraktiv sind wie ein eigenes Auto. Es ist verständlich, wenn Menschen sagen: ‚Wenn der Bus nur alle zwei Stunden fährt und nach 20 Uhr gar nicht mehr, dann ist das nicht attraktiv‘. Und dann ist es auch schwer, umzusteigen. Es ist sowohl auch eine Wohlstandsfrage als auch eine psychologische Frage. Ich kann das niemandem übel nehmen, wenn man nicht auf Dinge verzichten will. Aber vielleicht sollten wir es nicht als Verzicht betrachten, sondern als Tausch. Denn wir verzichten zwar nicht gern, aber wir tauschen durchaus schon gern – wenn es etwas Sinnvolles ist. Lass uns mal unsere schlechten Gewohnheiten tauschen gegen eine lebenswerte Zukunft. Ich kann diese Frage aber letztlich nicht beantworten. Ich kann nicht sagen, was wir brauchen.

Das ist aber auch nicht die Aufgabe von Wissenschaft – gesellschaftliche Fragen zu beantworten. Wissenschaft ist dafür da, um zu zeigen, was ist. Daran zweifeln aber immer noch genug Menschen. Wie kriegt man diese Zweifel ausgeräumt?

Es kommt jetzt darauf an, über was für Zweifel wir sprechen. Es gibt Menschen, die bis heute glauben, dass es keinen Klimawandel gibt. Oder dass es nur einen natürlichen Klimawandel gibt und der Mensch damit nichts zu tun hat. Oder dass der Mensch nichts machen könnte. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive ist diese Diskussion lange vorbei. Die brauchen wir nicht mehr zu führen. Ich glaube auch, dass es kontraproduktiv ist, das überhaupt noch groß zu diskutieren, weil das den Anschein erweckt, als ob das Thema doch noch zur Diskussion stünde. Das heißt, man muss da ein bisschen mit Mitverantwortung drangehen, wann und wie man welche Themen kommuniziert. Gleichzeitig ist es natürlich schon ein spannendes Thema, darüber zu sprechen, woher wir wissen, dass der Stand der Dinge so ist, wie er ist, und warum wir uns so sicher sind, obwohl wir gleichzeitig – und das liegt ja in der Natur der Wissenschaft – es gar nicht ganz sicher wissen können. Wir können nie zu 100 Prozent etwas wissen. Das können wir in allen anderen Bereichen auch nicht. Wir haben gelernt, damit umzugehen: Im Leben ist nichts sicher, und das ist auch in Ordnung so. Aber gerade der Wissenschaft wird das manchmal als Schwäche ausgelegt, dass sie Dinge nicht hundertprozentig weiß. Dabei ist ja gerade der Umgang mit Unsicherheit – der professionelle Umgang mit Unsicherheit – das, was Wissenschaft überhaupt ausmacht.

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Auf seinem YouTube-Kanal @Joulfreunde präsentiert Klaus Russell-Wells Wissenschaftsvideos, mit denen er Themen wie biologische Stromspeicher, Sektorenkopplung und die Entstehung von Dünger auf verständliche und leicht zugängliche Weise erklärt.

Während es in der Wissenschaft der Regelfall ist, dass nichts hundertprozentig sicher ist, ist Unsicherheit für die Gesellschaft ein Problem, weil das als gefährlich verstanden wird. Liegt da der Übersetzungsfehler?

Absolut, genau. Um das zu verdeutlichen: Klimafakten.de ist zum Beispiel ein journalistisches Projekt, das sich damit beschäftigt, Klimamythen fachlich einzuordnen, klarzustellen, also ganz sachlich, und gleichzeitig aber auch den Blick darauf zu werfen, wie auf einer teilweise ganz gezielten Desinformationsebene diese Mythen immer wiederbelebt werden. Es gibt ein Poster – Grundkurs Desinformation –, auf dem einige Methoden erklärt werden, mit denen immer wieder Wissenschaft diskreditiert wird. Eine davon ist, von der Wissenschaft Dinge zu verlangen, die sie gar nicht erfüllen kann, etwa durch das Fordern eines Grades von Gewissheit, der unerreichbar ist. Das funktioniert so: ‚Wenn die Wissenschaft uns nicht zu 100 Prozent sagen kann, dass das so und so ist, warum können wir ihr dann überhaupt glauben?‘ Aber so funktioniert Wissenschaft nicht. Um noch mal auf den Anfang zurückzukommen: Ich glaube, man kann sehr wohl darüber sprechen und Informationen aufbereiten, wie Wissenschaft funktioniert und warum ein gewisser Grad an Unsicherheit trotzdem besser ist, als gar nichts zu wissen – und  einzuordnen, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert und warum sie sich trotz Unsicherheit ziemlich sicher sein kann. Was wir vielleicht nicht tun sollten, ist über jedes Stöckchen wieder zu springen und noch mal darüber diskutieren: Gibt es den Klimawandel wirklich? Ja, den gibt es. Sind wir schuld? Ja, sind wir.

Was erwidern Sie auf den Satz, dass wir das Klima nicht in Deutschland retten werden, weil der Anteil Deutschlands am ausgestoßenen CO weltweit bei zwei Prozent liegt?

Wir müssen ja auch gar nicht hier in Deutschland das Weltklima retten. Wir alle auf der ganzen Welt haben uns verpflichtet, jeweils die eigenen Emissionen runterzufahren auf null. Wir kümmern uns um unsere zwei Prozent, und der Rest kümmert sich um deren Prozente.

Sind Sie mit den Klimaschutz-Vorhaben der Politik zufrieden?

Nein. Und ich bin auch nicht überzeugt davon, dass das in den nächsten fünf Jahren groß anders werden wird. Denn es gibt ja massive Interessen, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Es gibt große Profiteure vom Status quo. Das ist der Unterschied zwischen Politik und Naturwissenschaft: In der Politik funktioniert vieles über Diskussionen, über Kompromisse – und jetzt haben wir es auf einmal mit einem Thema zu tun, das von sich aus nicht kompromissbereit ist. Es gibt keine große Diskussion, die Lage ist recht klar. Die Politik kann hin- und her diskutieren, wie sie will, aber die Situation tritt trotzdem ein.

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Der studierte Ingenieur beschreibt gern den Weg vom Nichtverstehen zum Verstehen und geht daher die Themen mit einer „konstruktiven Naivität“ an.

Sind Sie dennoch hoffnungsvoll?

Ja, bin ich. Auch wenn ich mich manchmal schwertue, zu argumentieren, warum ich das bin. Denn wenn man sich das langsame Vorgehen ansieht, gibt es dafür nicht viele Gründe. Aber es ist keine Alternative, keine Hoffnung zu haben. Die Welt verändert sich, und wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder sagen wir uns: ‚Wir wollen uns nicht verändern, früher war alles besser.’ Und dann werden wir eben überrumpelt. Oder aber wir gehen mit dem Wissen konstruktiv daran und sagen ‚Wir wollen, dass sich die Welt so wenig schlimm wie möglich verändert, also tun wir, was wir können, um in diese Richtung zu gehen‘.

Ich bin Ingenieur, und aus einer technischen Perspektive sind viele Dinge recht klar einzuordnen. Man weiß, wie Dinge funktionieren, wie Strom und wie Wärme funktioniert. Jetzt geht es nur darum, das umzusetzen. Aber was ich so faszinierend finde, ist: Menschen sind nicht immer rational und damit nicht immer berechenbar. Diese Unsicherheiten finde ich spannend. Mit naturwissenschaftlichen Unsicherheiten kann man ja irgendwie arbeiten, die kann man einordnen. Gesellschaftliche, psychologische, politische Aspekte aber sind völlig unberechenbar.

Müsste man der Gesellschaft – uns allen – erklären, dass wir es nicht nur mit einem gesellschaftlichen, sondern auch und vor allem mit einem naturwissenschaftlichen Veränderungsprozess zu tun haben? Wie einer chemischen Reaktion?

Wenn wir im naturwissenschaftlichen Bereich von einer chemischen Reaktion sprechen, kommt es darauf an, was für eine Reaktion das ist, ob man über Druck oder Temperatur noch Stellschrauben hat, mit denen man die Geschwindigkeit der Reaktion verändern kann. Auf gesellschaftliche Prozesse übertragen, ist es schon auch manchmal so, dass man ja disruptive Veränderungen hat, die, wenn sie für die Menschen zu schnell ablaufen, man über externe Eingriffe verlangsamen kann. Also wenn die Politik sagt, wir wollen nicht, dass das so schnell geht, daher bauen wir hier und da Bremsen rein. Aber dann bremst man sozusagen von außen. Der Prozess würde eigentlich schnell ablaufen. Ich glaube, dass im Bereich der Energiewende ganz viel am Ende ganz schnell gehen wird. Gerade diese Anlaufzeit am Anfang, wenn sich neue Technologien etablieren – und natürlich haben die am Anfang immer ihre Kinderkrankheiten. Der Anfang dauert lange und ist langwierig und für manche Leute anstrengend, aber irgendwann kommt ein Punkt, an dem es einfach so viel teurer wäre, auf die alte Art weiter zu machen. Dann machen alle gleichzeitig mit – und dann geht alles ganz schnell.

22. Mai 2023
Klimaschutz

Interview: Dirk Kirchberg. Fotos: FH Münster/ Theresa Gerks (2), Videoscreens Joul Wissenschaftskommunikation (3).

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