Eine Postkarte von 1910 zeigt prachtvolle Gaslaternen auf dem Ernst-August-Platz.
Ein Archiv für die Zukunft

Wie enercity seine Geschichte neu erzählt

200 Jahre – eine Zahl, die in der Unternehmenswelt Seltenheitswert hat. enercity gehört zu den wenigen Firmen, die auf eine so lange Geschichte zurückblicken können. Ihr Vermächtnis besteht, wenn man so will, aus Licht, Energie und Wasser, aber auch aus Entscheidungen, Transformation und Verantwortung. Statt zum 200-jährigen Jubiläum eine Festschrift aufzulegen, hat das hannoversche Energieunternehmen eine umfassende, wissenschaftlich fundierte und komplett neue Chronik erarbeitet. Das Herzstück ist ein Unternehmensarchiv, das erstmals systematisch die Quellen und Fundstücke der Vergangenheit zusammenführt.

Der Weg dorthin war anspruchsvoll. Über Jahrzehnte hinweg lagerten an verschiedenen Standorten Akten, Pläne, Exponate und Fotos, vieles ungeordnet und oft vergessen. Bei der Sichtung stieß die enercity-Historikerin Janet von Stillfried auf erstaunliche Funde: darunter die allererste Mahnung, die sich die Stadt Anfang des 19. Jahrhunderts im Grunde selbst ausstellte, weil die eine Behörde die andere daran erinnern musste, die Gasrechnung für die neue Straßenbeleuchtung zu begleichen. Auch Bauzeichnungen von Gasometern, Hallen und Werksgeländen kamen ans Licht. All das musste gesichtet, bewertet, sortiert und digital erfasst werden. „Ein Archiv aufzubauen, bedeutet nicht nur, Ordner ins Regal zu stellen und Geschichte zu bewahren“, sagt von Stillfried, die bei enercity für Archiv und Chronik verantwortlich ist. „Es heißt, Geschichte zu ordnen, lebendig zu halten, zu gestalten und für die Zukunft zugänglich zu machen.“ 

Die letzte Gaslaterne wird 1983 in der Nedderfeldstraße abgebaut.
Die letzte Gaslaterne wird 1983 in der Nedderfeldstraße abgebaut.

Mehr als nur Rückschau

Der Entschluss, ein solches Projekt zum Jubiläum anzugehen, war keineswegs selbstverständlich. „In den bisher veröffentlichten Chroniken hatten wir unsere NS-Geschichte nicht konsequent aufgearbeitet“, sagt Marc Hansmann, Vorstand für Finanzen und Infrastruktur bei enercity. „Unsere Historikerin hat diese Aufgabe ausgezeichnet gemeistert, ist sehr tief in die Materie eingetaucht . Das Ergebnis ist aufschlussreich und in Teilen aufrüttelnd.“ So fanden sich Belege dafür, dass die Stadtwerke Hannover, in deren Rechtsnachfolge enercity steht, nicht nur im Zweiten, sondern auch schon im Ersten Weltkrieg Zwangsarbeitende eingesetzt haben. „Ein historisches Versagen, das wir deutlich machen müssen“, bekräftigt Hansmann. Mit dieser Offenheit setzt enercity ein Zeichen: Geschichte ernst zu nehmen heißt, auch die dunklen Seiten sichtbar zu machen. „Die Weimarer Republik erscheint uns heute wieder präsent, denn unsere Demokratie steht unter Druck wie lange nicht mehr“, mahnt Hansmann.

Mitarbeiter im Elektrizitätswerk in der Osterstraße um 1910.
Mitarbeiter im Elektrizitätswerk in der Osterstraße um 1910.
Die Gasanstalt an der Glocksee in den 1930er-Jahren.
Die Gasanstalt an der Glocksee in den 1930er-Jahren.

Hinter den Kulissen der Recherche

Für die Historikerin bedeutete die Arbeit an der Chronik rund anderthalb Jahre intensive Recherche: in kommunalen Archiven, bei Zeitzeugen und in den eigenen Beständen. Oft waren es kleine Details, die ein neues Licht auf bekannte Geschichten warfen – eine Randnotiz, eine Illustration, ein unscheinbares Schriftstück. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Digitalisierung, die Fynn Kreller, von Stillfrieds Kollege im Archiv, vorantreibt. Es handelt sich um alte Pläne, Werbeanzeigen und Fundstücke wie etwa Bügeleisen. Der Fundus umfasst inzwischen Tausende Dateien, doch die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Derzeit entsteht Schritt für Schritt ein digitales Gedächtnis, das nicht nur Wissenschaftler:innen offen stehen, sondern künftig auch Mitarbeitenden und der interessierten Öffentlichkeit Einblicke ermöglichen soll.

Ich identifiziere mich heute stärker denn je mit enercity und bin durch diese historische Perspektive demütiger geworden.
Marc HansmannVorstand für Finanzen und Infrastruktur bei enercity

Respekt vor Entscheidungen damals und heute

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit verändert auch den Blick auf die Gegenwart. „Mir wurde noch einmal sehr deutlich, wie sehr wir heute von den Entscheidungen unserer Vorgänger profitieren“, sagt Hansmann. „Das Gas- und Stromnetz, das über zwei Jahrhunderte gewachsen ist, ebenso wie das Fernwärmenetz seit 1962, sind beeindruckende Zeugnisse vorausschauender Planung.“ Er habe großen Respekt vor den mutigen Entscheidungen und auch vor den Fehlentscheidungen der Vergangenheit gewonnen. „Wir als Vorstand müssen heute ebenfalls schwierige Entscheidungen treffen. Und ich bin mir sicher: In 30 Jahren wird man auch über unsere Arbeit sagen, dass nicht alles  perfekt war“, sagt Hansmann, „aber entscheiden müssen wir.“

Ein neues Selbstverständnis

Für Mitarbeitende wie Interessierte bedeutet das: Wer in der Chronik blättert oder später im digitalen Archiv recherchiert, erfährt nicht nur, wie sich Arbeitswelten, Netze und Kraftwerke entwickelt haben. Man erkennt auch, wie sehr enercity seit jeher ein Teil des gesellschaftlichen Gefüges Hannovers war, mit allen Höhen und Tiefen. Hansmann selbst zieht aus der historischen Arbeit eine persönliche Konsequenz: „Ich identifiziere mich heute stärker denn je mit enercity und bin durch diese historische Perspektive demütiger geworden.“ 

enercity – 200 Jahre positive Energie

Die neue Chronik zeichnet die Entwicklung der Energie- und Wasserversorgung in Hannover seit 1825 nach. Sie zeigt technische Innovationen und Infrastrukturprojekte ebenso wie die Rolle der Versorgungsbetriebe in Krisenzeiten und während des Nationalsozialismus. Historische Fotos und bislang unveröffentlichtes Archivmaterial geben Einblicke in zwei Jahrhunderte Stadtgeschichte – von der Gaslaterne bis zur Energiewende. Ein Buch für alle, die wissen wollen, wie eine Stadt funktioniert und warum es sich lohnt, genau hinzusehen, wenn das Licht angeht, das Wasser läuft oder die Leitung warm wird. 
Die Chronik „enercity – 200 Jahre positive Energie“ ist im Wehrhahn Verlag erschienen und überall im Buchhandel erhältlich. Hardcover, 352 Seiten, 500 Abbildungen, 28 Euro. 

Zur Chronik
200 Jahre Geschichte(n)

In der Jubiläumsausgabe unseres Energie-Magazins #positive energie blicken wir auf 200 Jahre Energieversorgung in Hannover zurück. Entdecken Sie spannende Meilensteine, bewegende Geschichten und beeindruckende Entwicklungen aus zwei Jahrhunderten.

19. September 2025

Text: Dirk Kirchberg. Fotos: enercity-Archiv.

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