Foto einer Landschaft mit Windkraftanlagen, in das die Renderings zweier Batteriespeicher einer Agri-PV-Anlage, einer Biogasanlage und zweier Strommasten integriert wurden.
Stromversorgung der Zukunft

Wie lässt sich Energie smart verteilen?

Abertausende Klein- und Kleinstkraftwerke, eine sicherzustellende Versorgung, hoher Bedarf: Die Energiewende stellt die Stromversorgung hierzulande vor Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, werden Stromnetze zu sogenannten Smart Grids, in denen Strom schlau und flexibel produziert und verteilt wird.

Bis vor Kurzem war die Stromversorgung in Deutschland vergleichsweise leicht zu erklären: Strom wurde zentral in leistungsfähigen Kraftwerken produziert und floss von dort aus über Leitungen zu Häusern und Fabriken, wo er verbraucht wurde. Doch diese Zeiten sind passé. Stattdessen fungiert das Stromnetz heute wie ein komplexes Nervensystem, das das gesamte Land überzieht. Darin bewegen sich über Leitungen, Verteiler und Zwischenstationen Strom ebenso wie Informationen in unterschiedliche Richtungen, bis sie an ihrem Ziel angelangt sind. Das Stromnetz wird also zunehmend komplexer – und dem Internet strukturell immer ähnlicher.

Der Grund für den Wandel: Im Zuge der Energiewende ergänzen heute abertausende dezentrale Klein- und Kleinstkraftwerke die großen Kraftwerke. So entsteht Strom heute auch auf den Dächern und in den Kellern von Wohnhäusern und Betrieben, auf dem platten Land wie auf dem offenen Meer – in zahllosen Photovoltaikpaneelen, Biogasanlagen oder Windparks. Immer mehr Haushalte und Unternehmen verbrauchen damit nicht mehr nur Strom, sondern sie werden zu sogenannten Prosumenten – sie produzieren und konsumieren Strom.

Die Situation im Netz kann sich dabei mitunter blitzschnell ändern. Denn das Wetter, die Jahres- und die Tageszeit beeinflussen die Stromproduktion aus Wind- und Sonnenenergie: Mal scheint die Sonne in einigen Landesteilen, während sie das in anderen nicht tut – und nachts oder im Winter herrschen andere Bedingungen als tagsüber oder im Sommer. Zugleich steigt der Strombedarf kontinuierlich an, zum Beispiel durch die wachsende E-Mobilität oder die zunehmende Elektrifizierung der Industrie. All das stellt das Stromnetz der Zukunft vor große Herausforderungen.

Digitalisierung ist der Schlüssel

„Um die vielen kleinen Solaranlagen auf Gebäuden, die Solarparks, die Windräder auf dem Land und die Windparks im Meer mit dem Energiebedarf von Haushalten und Industrie zusammenzubringen, brauchen wir neue Speicherkonzepte und intelligente Stromnetze“, sagt Andrea Benigni, „und wirklich intelligent sind sie dann, wenn sie sich in Echtzeit steuern lassen.“ Benigni ist Professor am Lehrstuhl für Methoden zur Simulation von Energiesystemen an der RWTH Aachen und Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich. Ihm zufolge ist die Digitalisierung der Schlüssel für den Umbau des Stromnetzes.

Über das Foto mit Blick über den Maschsee in Hannover wurde das Rendering eines engmaschigen Netzes gelegt, das das smarte Stromnetz darstellt.
Das digitale Stromnetz der Zukunft reguliert sich selbstständig und verteilt Energie klug.

Dabei werden Millionen von Produktionsstätten, Netzknoten, Schnittstellen und Abnehmer digital zu sogenannten Smart Grids verknüpft. Durch die Leitungen fließen dann neben Strom auch Informationen wie etwa Strompreise oder aktuelle Angaben zu Bedarf und Erzeugung in einer Region. Auf diese Weise lassen sich die Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Energie in Echtzeit koordinieren.

Damit das klappt, so die Planungen, werden intelligente Stromzähler in privaten Haushalten oder Unternehmen sekundengenau den Preis und den hauseigenen Verbrauch erfassen. Ist der Strom gerade günstig, schaltet sich künftig die Ladeeinheit für das E-Auto zu oder die Drehmaschine in der Werkhalle springt an. Derweil werden virtuelle Kraftwerke das Stromnetz gegen Schwankungen absichern. Und überschüssiger Ökostrom wird in Zukunft automatisch in Pumpspeicherwerken oder riesigen Batterieanlagen gepuffert.

So wird das Stromnetz zu einer flexiblen, zellularen Struktur, die Strom bundesweit je nach Angebot und Nachfrage schlau verteilt. Das vermeidet Überlastungen beziehungsweise Engpässe. Das ist auch dringend notwendig. Schließlich soll der Brutto strombedarf in Deutschland schon 2030 durch 80 Prozent erneuerbare Energien gedeckt werden. „Die Stromnetzinfrastruktur ist das Rückgrat der Energiewende“, sagt auch Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

enercity investiert 160 Millionen Euro

Die Herausforderungen, die sich aus der Energiewende und diesen neuen Nutzungsmustern ergeben, geht enercity proaktiv an. So nimmt enercity bis 2025 160 Millionen Euro in die Hand, um das eigene Stromnetz auszubauen und zukunftsfähig aufzustellen. Dazu gehören vor allem Investitionen in Digitalisierung, Sensorik und Automatisierung.

Über das Foto einer modernen Wohnanlage wurde das Rendering eines engmaschigen Netzes gelegt, das das smarte Stromnetz darstellt.
Immer mehr Verbraucher produzieren ihren eigenen Strom und speisen diesen zum Teil ins Netz ein.

Wie ein smartes Netz ganz praktisch Mensch und Umwelt nutzen kann, erprobt enercity etwa im Nullemissionsbaugebiet „In der Rehre“ in Wettbergen im Südwesten Hannovers. In diesem Neubau gebiet sind überdurchschnittlich viele Häuser mit PV-Anlagen, Wärmepumpen und smarten Strom zählern ausgestattet. Im Rahmen eines Pilotprojekts installiert enercity innovative Messgeräte in Kabelverteilerschränken. Ziel ist es, damit jederzeit den aktuellen Zustand des Stromnetzes in wesentlichen Parametern wie elektrische Spannung und Leistung zu erfassen. Die Messungen sollen Ende 2022 starten und ein Live-Abbild des Stromnetzes ermöglichen. Dazu laufen die Daten auf einer virtuellen Plattform zusammen und werden in Echtzeit ausgelesen. Das ermöglicht ein schnelles, regulierendes Eingreifen bei drohender Überlastung oder schwankender Spannung.

Perspektivisch ließe sich dadurch auch ein unwirtschaftlicher Ausbau des Stromnetzes vermeiden. Derzeitige Annahmen gehen von etwa zehn bis zwölf kritischen Stunden im Jahr aus, in denen eine Regulierung notwendig wäre. Das gesamte Netz für diesen kurzen Zeitraum anzupassen, wäre unverhältnismäßig. Nur wenn es eine deutliche Überlastung oder Unterversorgung über längere Zeiträume gibt, ist ein Ausbau notwendig. „Von den im Baugebiet In der Rehre gewonnenen Erkenntnissen können perspektivisch die Einwohnerinnen und Einwohner der gesamten Stadt profitieren“, sagt Karl Josef Risch, Geschäftsführer der enercity Netz GmbH.

Sektorenkopplung: Clevere Vernetzung von Energiewirtschaft und Industrie

Die Sektorenkopplung verbindet die Strom-, Wärme- und Gasnetze sowie den Mobilitätssektor miteinander. Daraus ergeben sich zahllose Nutzungsmöglichkeiten. So treibt Ökostrom dann gleichermaßen elektrische Wärmepumpen zum Heizen oder Kühlen von Wohnungen wie auch Elektroautos oder E-Scooter an. Die Energie aus Wind und Sonne kann aber auch Wasser in seine Bestandteile zerlegen. Der so erzeugte Wasserstoff lässt sich als Langzeitenergiespeicher nutzen, der in Brennstoffzellen wieder zu Strom und Wärme wird. Über solche Anwendungen kann die Sektorenkopplung die gesamte Wirtschaft dekarbonisieren, also ohne fossile Brennstoffe mit Energie versorgen.

Dazu gehört beispielsweise auch die Frage, wie sich über das Stromnetz künftig E-Autos zuverlässig mit Ladestrom versorgen lassen, ohne dass das Netz oder der Hausanschluss überlastet werden. enercity hat dafür eine Software entwickelt, die das unterschiedliche Ladeverhalten verschiedener E-Mobile und Hybridautos aussteuert und die Stromzufuhr anpasst. Dieses spezielle Lastmanagement kam etwa in einem Mehrfamilienhaus in der Großen Düwelstraße in Hannover ins Spiel. Dank der intelligenten Aussteuerung können hier bis zu 25 Parteien ihre E-Autos zeitgleich laden.

Das Beispiel aus der Großen Düwelstraße zeigt auch, dass das Stromnetz schon heute für noch viel mehr verantwortlich ist als nur für den Transport von Strom. Denn um wirklich alle fossilen Brennstoffe wie Gas, Kohle und Benzin zu ersetzen, muss Strom aus erneuerbaren Energien auch für Verkehr und Wärme genutzt werden. Diese sogenannte Sektorenkopplung (s. Kasten oben) ist eines der tragenden Elemente der Energiewende.

Sie wird weitere Anforderungen an das Stromnetz der Zukunft stellen und den Weg in die Klimaneutralität weisen.

19. Dezember 2022
Erneuerbare Energien
Smart City
Ökostrom

Text: Florian Sievers. Bilder: Getty Images

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