
Wie Forschung im Kleinen Großes bewirken kann
Netzstabilität im Modell
Ein Summen liegt in der Luft. Auf einem Labortisch im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) laufen winzige Elektromotoren an, verbunden mit feinen Leitungen und Sensoren. Was aussieht wie ein technisches Diorama, ist in Wahrheit das physikalische Modell eines Stromnetzes im Miniaturformat. Benjamin Schäfer und sein Team untersuchen hier, wie sich neue Stromleitungen auf die Stabilität des Gesamtnetzes auswirken. Ihr Ziel: die Energiewende besser planbar machen.

Denn was logisch klingt – mehr Leitungen gleich mehr Stabilität –, gilt in der Praxis nicht immer. Das sogenannte Braess-Paradoxon zeigt: Zusätzliche Leitungen können den Stromfluss ungewollt umleiten und das Netz sogar instabil machen. Veranschaulichen lässt sich das Prinzip gut am Straßenverkehr: Das Braess-Paradoxon beschreibt das Phänomen, dass eine zusätzliche Straße in ein Verkehrsnetz den Verkehr insgesamt verschlechtern kann, weil jede:r individuell versucht, den für sich besten Weg zu finden. Dadurch entsteht mehr Stau, obwohl es eigentlich mehr Kapazität gibt.
In den Labormodellen des KIT lässt sich dieses Verhalten präzise nachstellen. Die Ergebnisse fließen in computergestützte Tools ein, mit denen Netzbetreiber zukünftige Ausbauschritte simulieren können – und dabei Fehlplanungen vermeiden. So entsteht aus einem Tisch voller Mini-Motoren eine Entscheidungshilfe für milliardenschwere Infrastrukturprojekte.
Solarzellen zum Aufkleben
Während in Karlsruhe das große Ganze modelliert wird, dreht sich in Jena alles um das Kleinste: um Moleküle. Am Helmholtz-Institut für Polymere in Energieanwendungen (HIPOLE) arbeiten junge Forschende an neuartigen Kunststoffen. Ihre Vision: Solarzellen, die sich wie Aufkleber anbringen lassen, etwa auf Fensterflächen oder Hauswänden.
Das Besondere an diesen Materialien: Sie kommen ohne seltene Metalle wie Lithium oder Kobalt aus, sind leichter zu recyceln – und könnten eines Tages sogar per Druckverfahren massenhaft produziert werden. So könnte die Energietechnik der Zukunft nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger und bezahlbarer werden.

Stromernte aus Chips
Sei es beim Streaming, beim Onlineshopping oder durch die Nutzung von Cloud-Diensten: Unser digitaler Alltag ist ein echter Stromfresser. Im Hintergrund laufen dafür unermüdlich die Rechenzentren, die allein rund drei Prozent des weltweiten Stromverbrauchs ausmachen. Dabei produzieren Computerchips Wärme – viel Wärme. Mancherorts wird diese Wärme schon genutzt, um Wohnungen zu heizen, Schwimmbäder zu temperieren oder industrielle Prozesse zu unterstützen. Im Artikel „Abwärme von Rechenzentren gegen den Klimawandel nutzen“ erfahren Sie mehr zum Thema.
Dennoch verpufft ein großer Teil der Wärmeenergie bisher noch ungenutzt. Genau das wollen Forschende am Forschungszentrum Jülich und am Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik (IHP) ändern: Sie haben eine neuartige Halbleiterlegierung aus Germanium und Zinn entwickelt, die sich direkt auf Chips aufbringen lässt. Diese nutzt den sogenannten thermoelektrischen Effekt: Aus Temperaturunterschieden wird elektrische Energie gewonnen – ohne bewegliche Teile, lautlos und langlebig.
Das sogenannte „On-Chip Energy Harvesting“ könnte künftig dafür sorgen, dass Prozessoren ihre eigene Stromversorgung teilweise selbst übernehmen. Die Folge: geringerer Strombedarf, geringerer Kühlaufwand, mehr Effizienz – in einem Sektor, der weiter rasant wächst.
Im Artikel „Energy Harvesting: Nachhaltige Stromquelle der Zukunft?“ lesen Sie mehr über die alternative Stromerzeugung aus Bewegung, Vibrationen, Umgebungstemperatur oder anderen nachhaltigen Quellen.
Genießen Sie Ihr warmes Zuhause und sparen Sie gleichzeitig bis zu 30 Prozent Energie. Mit den smarten Thermostaten von enercity können Sie Ihre Heizung dank der einfachen Steuerung über Ihr Smartphone von überall aus kontrollieren und an Ihre Bedürfnisse anpassen.
Fenster, die mitdenken
Auch unsere Häuser bergen enormes Energiesparpotenzial: Rund 35 Prozent des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Gebäudesektor. Ein Schlüssel zur Einsparung liegt in der Gebäudehülle. Das Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP entwickelt deshalb sogenannte „thermochrome“ Beschichtungen für Fenster und Fassaden.
Diese Spezialschichten reagieren auf die Umgebungstemperatur: Wird es draußen heiß, verdunkeln sie sich automatisch und reflektieren die Sonne. Wird es kühler, verlieren sie ihre Tönung und lassen wieder mehr Sonnenwärme herein. Das reduziert den Bedarf an Klimaanlagen und Heizungen – und kann laut Fraunhofer-Angaben den Energieverbrauch um bis zu 60 Prozent senken. Anders als herkömmliche Systeme funktionieren die Beschichtungen passiv, also ohne Sensoren oder Strom. Sie basieren rein auf physikalischen Effekten und könnten künftig in Fenstern, Dächern oder Fassaden eingesetzt werden. Das macht sie besonders geeignet für den Einsatz im Gebäudebestand.
Wie die Fassaden-Photovoltaik eine Alternative oder Erweiterung zu anderen PV-Anlagen sein kann, lesen Sie im Artikel „Innovative Photovoltaikmodule für Fassaden“.
Speicher nach dem Vorbild der Natur
Speicherlösungen sind entscheidend für das Gelingen der Energiewende – vor allem dann, wenn der Wind so konstant weht und zugleich die Sonne so kräftig scheint, dass der dadurch erzeugte erneuerbare Strom nicht sofort vollständig genutzt werden kann und zwischengespeichert werden muss. Das bayerische Unternehmen CMBlu Energy setzt deshalb auf eine neue Technologie: sogenannte organische Flow-Batterien. Ihr Elektrolyt – also die Flüssigkeit, in der chemische Energie gespeichert und freigesetzt wird – besteht aus elektrochemisch aktiven Molekülen, die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden. Auf kritische Rohstoffe wie Lithium, Nickel oder Kobalt wird dabei ganz verzichtet.
Die Vorteile: Diese Batterien sind nicht nur nachhaltiger, sondern auch besonders langlebig: Sie schaffen bis zu 20.000 Ladezyklen. Die Technik orientiert sich an natürlichen Prozessen – ein Beispiel dafür, wie sich Prinzipien aus der Natur für innovative Energielösungen nutzen lassen.
Im Artikel „Wie Batteriespeicher die Energiewende sichern“ lesen Sie mehr dazu, weshalb Speichertechnologien einen wichtigen Baustein der Energiewende darstellen. Und im Artikel „Wie die Bionik die Energiewirtschaft voranbringt“ erfahren Sie mehr darüber, wie die Natur uns den Weg in eine grünere Zukunft zeigt.
Vom Forschungstisch in die Realität
Fünf Projekte – fünf ganz unterschiedliche Ansätze. Und doch eint sie ein Gedanke: Die großen Herausforderungen der Energiewende lassen sich nur lösen, wenn auch im Kleinen neu gedacht wird. Im Labor, auf dem Chip, im Molekül. Dort, wo neue Materialien, überraschende Effekte oder ausgeklügelte Simulationen entstehen. Sie setzen auf Lösungen, die heute noch im Kleinen erforscht werden, aber schon bald groß rauskommen könnten. Sie helfen, Strom intelligenter zu speichern, Netze stabiler zu machen oder Energie dort zu gewinnen, wo sie bisher verloren ging.
Noch ist manches davon Grundlagenforschung. Wenn diese Ideen aber aus den Laboren den Weg in den Alltag finden, können sie die Energiewende sicherer, effizienter und nachhaltiger machen. Und einmal mehr beweisen, dass Wissenschaft im Verborgenen die Welt verändert.
Sie möchten regelmäßig über innovative Technologien und spannende Fakten rund um die Themen Energie und Klimaschutz informiert werden? Dann abonnieren Sie den Newsletter unseres Energiemagazins #positiveenergie!