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Auf ein Wort

„Wir möchten aus Windkraft noch mehr herausholen“

Es ist gar nicht so lange her, da prägte noch der Braunkohletagebau die Lausitz. Doch inzwischen sind es zunehmend Solar- und Windkraftanlagen. Die GICON-Gruppe, ein Verbund unabhängiger, international tätiger Ingenieurdienstleister mit Hauptsitz in Dresden, möchte bei der Energiewende noch höher hinaus und baut in Schipkau aktuell die größte Windkraftanlage der Welt. Mit einer Höhe von 365 Metern wird das dort entstehende Höhenwindrad den Pariser Eiffelturm künftig um ganze 35 Meter überragen.

Ermöglicht hat dieses bahnbrechende Projekt die Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND, die als größter Deeptech-Finanzierer Europas seit ihrer Gründung 2019 von Jahr zu Jahr mehr in radikale Innovationen für die Energiewende investiert. Finanziert wird SPRIND vom Bundesbildungsministerium und vom Bundeswirtschaftsministerium. Das Budget der zunächst auf zehn Jahre angelegten Agentur wird auf insgesamt rund eine Milliarde Euro kalkuliert. 2111 Projekte hat das Team bislang analysiert und 163 davon finanziert.

Wir haben mit SPRIND-Innovationsmanager Martin Chaumet darüber gesprochen, wie Höhenwindräder funktionieren und welches Potenzial in der neuen Windkrafttechnologie steckt.

Martin Chaumet
SPRIND-Innovationsmanager Martin Chaumet

Herr Chaumet, was genau passiert in Schipkau?

In Schipkau entsteht aktuell die höchste Windkraftanlage der Welt, die ein völlig neues Konzept der Windenergiegewinnung verfolgt. Es handelt sich dabei um ein Pilotvorhaben, das innovative Technologien im Zusammenspiel mit Höhenwindkraft erprobt. Die Anlage soll das Potenzial für eine neue Generation von Windenergieanlagen verdeutlichen, die kostengünstiger und leistungsfähiger sind als die traditionellen Modelle.

Was ist Höhenwindkraft?

 Wind weht in verschiedenen Höhen mit unterschiedlicher Stärke. In Bodennähe wird der Wind beispielsweise oftmals durch Hindernisse wie Gebäude, Bäume oder den Boden abgebremst. Mit zunehmender Höhe nimmt die Windgeschwindigkeit deshalb stetig zu. Diese Höhenwindkraft möchten wir mit unserer neuen Technologie nutzen.

Können Sie uns das bitte etwas genauer erklären

Wir möchten aus Windkraft einfach noch mehr herausholen, als bislang möglich war. Zum Verständnis: Bei klassischen Windkraftanlagen an Land befinden sich die Rotoren auf Türmen, die üblicherweise zwischen 100 und 150 Meter hoch sind. Sie ernten den Wind also aus den Luftschichten, die sich näher an der Erd- oder Wasseroberfläche befinden, als es das neue Höhenwindrad tun wird. Unsere Messungen in Schipkau haben ergeben, dass der Wind in einer Höhe von 150 Metern im Jahresmittel mit etwa 6,5 Metern pro Sekunde weht, in einer Höhe von 300 Metern hingegen mit einer Geschwindigkeit von 8,7 Metern pro Sekunde. Da die Energie, die wir aus dem Wind gewinnen können, stark zunimmt, wenn der Wind schneller weht, führt eine Erhöhung der Windgeschwindigkeit von 6,5 auf 8,7 Meter pro Sekunde zu einem enormen Anstieg der verfügbaren Energie.

Warum ist das so?

Weil Windkraft nicht proportional zur Windgeschwindigkeit, sondern viel stärker wächst: Wenn der Wind beispielsweise doppelt so schnell weht, gibt es nicht doppelt so viel, sondern achtmal so viel Energie. Die zur Verfügung stehende Energie wächst nämlich mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Daher führt schon ein moderater Anstieg der Windgeschwindigkeit zu einem enormen Gewinn an Energie. Obwohl also – wie bei unserem Beispiel – die Windgeschwindigkeit von etwa 6,5 Metern pro Sekunde nur auf 8,7 Metern pro Sekunde und damit nur um 34 Prozent steigt, wächst die Energie, die wir daraus gewinnen können, um 139 Prozent. Höhenwindenergieanlagen lohnen sich also: Die Messungen unseres Wind-Messturms in Schipkau haben ergeben, dass wir mit unseren Windrädern in einer Höhe von 300 Metern fast den doppelten Ertrag mit dem gleichen Rotordurchmesser erzielen können.

Ein Windturm mit 300 Metern Höhe!

Ja. Nach seiner Fertigstellung wird die neue Windenergieanlage in Schipkau nach dem noch vier Meter höheren Berliner Fernsehturm das zweitgrößte Bauwerk Deutschlands sein. Für dieses anspruchsvolle Projekt wurde eine neue Bauweise für das Windrad entwickelt, die es ermöglicht, die Turbine in 300 Metern Höhe zu installieren. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Teleskopturm: In einem äußeren Turm wird gleichzeitig ein innerer Turm gebaut, auf diesen wird die Turbine in einer Höhe von etwa 170 Metern aufgesetzt. Der innere Turm wird dann so weit hochgezogen, dass er eine Nabenhöhe von 300 Metern erreicht. Der Turm ist letztlich eine Gittermaststruktur, ähnlich den wohlerprobten Hochspannungsmasten, das Ganze in Kombination mit einer marktüblichen Turbine. Das heißt, wir haben im Grunde mehrere „State of the Art“-Techniken neu miteinander kombiniert, um daraus eine neue Technologie zu entwickeln – das nennt man eine architektonische Sprunginnovation.

Wie ist die Idee zur Höhenwindkraftanlage entstanden?

Die Idee kam durch Professor Horst Bendix zur SPRIND. Der gebürtige Leipziger war jahrzehntelang als Technik- und Forschungschef beim Leipziger Schwermaschinenbauer Kirow, als Hochschulprofessor und Berater im Ingenieurwesen tätig. Wir sind froh, dass ihn auch im Ruhestand das Tüfteln nicht losließ: Über Jahre feilte er an seiner Vision eines Höhenwindrads. 2019 reichte er seine Idee bei der SPRIND ein – der Startschuss für die Weiterentwicklung. Um die Technologie für ein Höhenwindrad voranzutreiben, gründete SPRIND im Dezember 2020 ihre erste Tochtergesellschaft, die beventum GmbH, und brachte die Idee des damals 91-Jährigen aufs nächste Level.

Bendix Laguna Windrad
Professor Horst Bendix war jahrzehntelang als Hochschulprofessor und Berater im Ingenieurwesen tätig. Auch im Ruhestand feilte er über Jahre an seiner Vision, die nun Wirklichkeit wird.

Warum ist zuvor niemand darauf gekommen, Windräder einfach höher zu bauen?

Kurz gesagt: weil sich bisher noch niemand getraut hat. Bis jetzt: beventum hat inzwischen drei vielversprechende Konzepte validiert. Der Windpark in Schipkau ist eines dieser Projekte. Wir sind sehr zufrieden, dass wir dafür das Ingenieurunternehmen GICON als Partner gewinnen konnten. GICON arbeitet ebenfalls schon seit mehr als zehn Jahren an Lösungen für Höhenwindenergieanlagen. Hand in Hand werden wir nun die große Vision von mehr Effizienz in der Gewinnung von Windenergie wahr werden lassen.

Welche Rolle übernimmt SPRIND bei dem Projekt?

Als Bundesagentur für Sprunginnovationen ist es bei all unseren Projekten unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass innovative Ideen und Technologien aus der Theorie in die Praxis übergehen. Das erfordert immer einen umfassenden Einsatz. Auch in Schipkau sind wir umfassend involviert – von der Initiierung und Förderung über die Umsetzung und Begleitung bis hin zur Markteinführung und Skalierung. Im Vorfeld haben wir das Projekt beispielsweise durch Forschung und Entwicklung sowie durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und technologischer Beratung unterstützt und dafür gesorgt, dass die notwendigen Ressourcen und Partnerschaften vorhanden sind, um das Projekt voranzutreiben. Während des Projekts unterstützen wir alle Stakeholder:innen mit unserem Expertenwissen und unterstützen bei der Umsetzung und in der Testphase, indem wir Innovationsmanagement betreiben und die Technologieentwickler:innen in Richtung Marktfähigkeit coachen. Dabei helfen wir unseren Partner:innen auch, mögliche technische Hürden zu überwinden, und sorgen dafür, dass die neuen Technologien getestet werden.

Welchen Beitrag können Höhenwindräder zur Akzeptanz von Windkraft leisten?

Höhenwindräder können einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz von Windkraft leisten und den Ausbau der Windenergie deutlich beschleunigen. Der größte Hemmschuh beim Ausbau von Windparks ist derzeit die Ausweisung von Windeignungsflächen – ein Prozess, der in Deutschland oft langwierig und komplex ist. Höhenwindräder bieten hier eine effiziente Lösung, da sie sich einfach in bestehende Windparks integrieren lassen, für die eine Windeignung bereits nachgewiesen wurde. So kann mehr Energie gewonnen werden, ohne dass zusätzliche Flächen benötigt werden.

Modell Höhenwindrad
Stahlgerüst statt Betonturm: Modell der Höhenwindenergieanlage.

Ein weiterer Vorteil: Höhenwindräder ermöglichen es erstmals, Windkraftanlagen dort zu errichten, wo sie akzeptiert werden – in der Höhe ist nahezu jeder Standort geeignet. So profitieren etwa die Vögel, da in diesen Höhen deutlich weniger Flugbewegungen stattfinden. Darüber hinaus eröffnen Höhenwindräder neue Möglichkeiten für den Windkraftausbau, etwa in großflächigen Industrieanlagen, wenn ein geeignetes Baurecht verfügbar ist.

Das Höhenwindrad in Schipkau ist das erste seiner Art. Ab wann sehen wir das in der Fläche?

Das hängt natürlich von dem Erfolg des Projekts in Schipkau ab. Wenn alles gut funktioniert, es keine Zwischenfälle gibt und die Wartung reibungslos abläuft, werden sich schnell Nachahmer:innen finden. Aus dem einfachen Grund, dass man eben mit weniger Turbinen mehr erreichen kann, durch sie das Sichtfeld weniger gestört wird und die Umwelteinflüsse insgesamt geringer sind. Insofern kann ich mir vorstellen, dass wir schon in einigen Jahren die ersten 1000 Höhenwindräder weltweit haben werden.

Wie steht es um die Akzeptanz des Projekts bei den Bürger:innen in Schipkau?

Die Akzeptanz in der Gemeinde ist hoch. Die gesamte Gemeinde profitiert von der hohen Verfügbarkeit von Windenergie, weil damit Investitionen von Unternehmen ermöglicht werden, denen günstige regenerative Energien wichtig sind. Langfristig führt das neben einer positiven Bevölkerungsentwicklung, die auf neu entstandene Arbeitsplätze zurückzuführen ist, auch zu höheren Gewerbesteuereinnahmen, die beispielsweise in den Ausbau von Kindertagesstätten, Spielplätzen und vielem mehr fließen können. Darüber hinaus verdient jede:r Einwohner:in auch direkt an dem Projekt: Im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsmodells erhält jede Einwohnerin und jeder Einwohner alle zwei Jahre etwa 80 Euro Gewinnbeteiligung an der Windenergie.

Ab wann wird die neue Anlage Energie liefern?

Wir liegen sehr gut im Zeitplan und gehen davon aus, dass die neue Anlage bereits Ende 2025 ans Netz geht.

Vielen Dank für das Interview!

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22. Mai 2025
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Text: Christian Wiez Bilder: SPRIND GmbH.

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